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MENSCHLICHKEIT BEWAHREN

Christian Voigt, 5.3.2023

„Nicht wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“

In Anbetracht des vorstehenden Zitates des alten Philosophen Machiavelli mögen nach fast 9 Jahren bewaffneten Konflikts im ukrainischen Osten beide Kriegsparteien vermutlich den Standpunkt vertreten, dass sie zwar vom jeweils Anderen genötigt wurden, jedoch keiner zuerst zu den Waffen gegriffen habe. Diese Frage zu klären, ist im Nachhinein wahrscheinlich ohnehin nicht möglich, ohne dass der Klügere bzw. Dümmere nachgibt, um so die Kriegsschuld und vor allem die Schuld am Tod Hunderttausender nur für sich zu beanspruchen. Hier bedarf es wie so oft in der Geschichte einen Sieger, der dem Besiegten dessen Alleinschuld dann auch offiziell auferlegt.

Fakt ist, dass jede Woche, die dieser Krieg länger dauert, einen Ort von der Größe meiner Heimatstadt Herzberg entvölkert und den Berg der europäischen Schande um etwa 7.000 - 10.000 getötete Menschen anwachsen lässt. Ca. 200.000 Soldaten und 50.000 unbeteiligte Zivilisten sollen dem Konflikt ja innerhalb eines Jahres bereits zum Opfer gefallen sein. Da dieser Massenmord zufälligerweise in Europa und nicht irgendwo auf der Welt stattfindet, findet er wenigstens Beachtung in unserer woken Gesellschaft.

Bei allem Interesse der Ukraine, die russische Armee von Ihrem Staatsgebiet zu verdrängen, stelle ich mir jedoch die Frage, wo in Anbetracht der immer größer werdenden Leichenberge die Menschlichkeit und das Wertebewusstsein gerade derjenigen geblieben sind, die ständig meinen, wir würden mit der Lieferung schwerer Waffen und wirtschaftlichen Entbehrungen unsere westlichen Werte verteidigen. Beim Blick auf die Liste der korruptesten Länder der Welt und das Wirken eines Stepan Andrijowytsch Bandera, auf dessen Tradition sich die aktuelle Ukrainer Regierung beruft, könnte man da schon fast ein bisschen ins Schmunzeln kommen - wenn es denn nicht so ernst wäre.

Das Schmunzeln würde vermutlich ohnehin auch gar nicht so lange andauern, wenn man sich zusätzlich noch den inneren Zustand unseres Landes zu Gemüte führt.

Hier der Versuch nahezu aller Hauptmedien, Menschen, die für Frieden und gegen deutsche Waffenlieferungen demonstrieren, so wie es das Grundgesetz sogar verlangt, zu Extremisten zu degradieren und damit deren Recht auf Teilhabe an einer pluralistischen Gesellschaft in Frage zu stellen. Dort die Entmenschlichung des russischen Gegners, um weiter Angst zu schüren und die Reihen für die Lieferung von immer mehr Kriegsgerät zu schließen. Ganz zu schweigen davon, dass viele von denen, die heute euphorisch den Panzerlieferungen in ein Kriegsgebiet applaudieren, sich noch vor wenigen Monaten vehement gegen die Lieferung schweren Kriegsgerätes ausgesprochen haben und sich somit seinerzeit selbst zu den „Extremisten“, „Putinverstehern“ und „Friedensschwurblern“ hätten zählen müssen.

Der Krieg in der Ukraine ist aber nur ein Beispiel dafür wie Politiker heute rote Linien setzen, um sie schon am nächsten Tag zu übertreten. Ähnliche Kehrtwendungen - das sind (mit besten Grüßen an unsere porzellanzerschlagende Chefdiplomatin) 180 und nicht 360 Grad - durften wir schon bei der „Rettung“ des Euros, der Flüchtlingskrise und während des Corona-Ausnahmezustands erleben. Nichts ist in den letzten Jahren wohl verlässlicher als die Unzuverlässigkeit unserer Politiker, Ausnahmen gibt es wahrscheinlich (nur), um die Regel zu bestätigen.

Für alle, denen die Wortkombination „pluralistische Gesellschaft“ im Übrigen nicht mehr ganz so geläufig ist, es ist eigentlich der (westliche) Wert und die wichtigste Säule einer Demokratie, deshalb aus meiner Sicht mehr als verteidigungswürdig - auch ohne Krieg, bspw. um Krieg zu verhindern oder wenn dies nicht möglich war, ihn im besten Fall zu beenden.

So sollte bzw. muss es trotz Kriegstunnelblick derjenigen, die durch unsere vertrauenswürdigen Medien vom Guten förmlich besessen scheinen, in einer westlichen Demokratie, deren Verteidigung uns ja offensichtlich hunderttausende (noch) ortsfremder Menschenleben wert ist, doch möglich sein, um den besten Lösungsansatz für die Beendigung eines (derzeit noch) europäischen Krieges auf diesem pluralistischen Fundament zu streiten? Ist es das nicht, muss unsere Gesellschaft doch ziemlich viel von dem verlernt zu haben, worauf man immer so stolz in allerlei Sonntagsreden verweist. Irgendwann gewöhnen sich ohnehin auch die Letzten an diesen Zustand des abhanden gekommenen Pluralismus in unserem Land und wissen genau, wann und wo die wichtigen Themen der Zeit - und da meine ich nicht den Genderstern - überhaupt noch kontrovers diskutiert werden können, ohne bei der nächsten Geburtstagsparty ausgeladen zu werden.

Ohne Pluralismus ist eine Demokratie dem Sterben geweiht. Mal von den Folgen für unsere Gesellschaft abgesehen, wer möchte den Ukrainern wirklich zumuten, sterbende Demokratien des Westens zu verteidigen?

Aber kommen wir zurück zum eigentlichen Thema.

Irgendjemand, vermutlich sogar jemand, der sich sogar für besonderes menschlich hält, kam auf die Idee, vor der russischen Botschaft in Berlin einen erbeuteten russischen Panzer aufzustellen, was mit Genehmigung der Berliner Behörden am 24.2.2023 auch vollendet wurde.

Dem Magazin Spiegel war zu entnehmen, dass der russische Panzer, dessen Kanone übrigens zeitweilig auf die russische Botschaft zielte, als Mahnmal gegen den Krieg dienen sollte. Die Initiatoren gaben gegenüber dem Spiegel auch an, dass der Panzer am 31. März 2022 beim Angriff der russischen Armee auf Kiew auf eine Mine gefahren, durch die Explosion zerstört worden sei und vermutlich darin auch Soldaten gestorben sind.

So wie der Panzer meines Wissens aussah, kann man das „vermutlich“ jedoch getrost weglassen.

Ich finde es nicht schön, halte jedoch jede Form des Protests, auch die Parteinahme für die eine oder andere Kriegspartei für legitim und damit auszuhalten.

Wogegen ich aber deutlichen Widerspruch erheben muss, ist die Zurschaustellung eines erbeuteten russischen Panzers - benannt als Mahnmal, vielleicht sogar den durch die Initiatoren erwünschten Zweck der Provokation erfüllend - und dies in der deutschen Hauptstadt. Ich halte es für pietätlos, den Tod von jungen Menschen, die vermutlich nicht freiwillig in diesen Krieg zogen und in diesem Panzer ihr Leben beendeten, so kühl für eigene Zwecke, für Zwecke der Provokation zu missbrauchen.

Ist dies unserem Land wirklich würdig? Möchte man so tatsächlich zeigen, dass man auf der guten Seite, der richtigen Seite der Geschichte steht?

Nahezu rührend fand ich in diesem Zusammenhang, dass viele Berliner Blumen am und auf dem Panzer ablegten, um der im Panzer getöteten jungen Menschen zu gedenken und so ihren Frieden zu schenken. Ob es diese Geste der Menschlichkeit war, dass der Panzer bereits am 28.2.2023 wieder entfernt wurde, wir werden es wohl nicht in Erfahrung bringen.

Würde es uns Deutschen in Anbetracht der Erfahrungen aus unserer eigenen Vergangenheit nicht ohnehin gut zu Gesichte stehen, statt sich offiziell auf eine Seite zu stellen, lieber ein Mittler zwischen den Konfliktparteien zu sein, um auf einen dauerhaften Frieden, der in Europa niemals gegen Russland möglich sein wird, hinzuarbeiten, wie es unser Grundgesetz auch verlangt. Ist es wirklich ein deutsches Problem, wenn eine regionale Bevölkerungsmehrheit in der Ukraine sich - aus welchen Gründen auch immer - dafür entscheidet, sich von ihrem Land abzuwenden? Im Kosovo bzw. Serbien gab es vor gut 20 Jahren eine nahezu identische Gemengelage, in der der Westen aber noch die Unterstützung der Abtrünnigen und die Bombardierung des Staates, der auf seine Souveränität und den Erhalt des Staatsgebietes pochte - wie die Ukraine heute - als vereinbar mit dem westlichen Wertekorsett ansah. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ändert offenbar in dem Maße seine Bedeutung wie es gerade zum geopolitischen Konzept des Westens passt. Die ganze Welt kennt diese plötzlichen Wertewandel des Westens, nur die Menschen im Westen offenbar nicht. 

Trotz alledem, aber insbesondere zum Trotz der täglich auf uns alle einprasselnden Informationen und Desinformationen sowie Rhetorik derer, die persönliche Vorteile aus einem langen Krieg ziehen oder in Geschichte - und anderen Schulfächern bspw. Erdkunde oder Mathematik - einfach nicht aufgepasst oder das Vermittelte nicht verstanden haben, steht bereits heute fest, dass nicht diejenigen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen werden, die derzeit den Krieg in der Ukraine durch Waffenlieferungen sinnlos verlängern und so schlafwandelnd in den 3. Weltkrieg taumeln, sondern diejenigen, die in Anbetracht des in Europa entfachten Wahnsinns ihre Menschlichkeit und ihr Streben nach Frieden bewahren, um diesen Wahnsinn zu stoppen und Europa, zu dem Russland genauso wie Deutschland gehört, nach 1945 erneut zu versöhnen.


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