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DAS AUGE MACHT DAS BILD, NICHT DIE KAMERA

Christian Voigt, 1.12.2020

Wie konntet Ihr nur schweigen und das mit der Vielzahl an Informationsmöglichkeiten, die ihr hattet?

Da ich diese Frage in einigen Jahren auf keinen Fall mit einem Achselzucken beantworten möchte, berichte ich heute über eine Berlin-Reise, die ich am 29.8.2020 unternommen habe. Es klingt vielleicht sehr hochtrabend und wie aus der Zeit gefallen, gut 30 Jahre nach dem Ende der letzten Diktatur auf deutschem Boden, aber wenn ich nicht berichte, habe ich das Gefühl, mich an der Demokratie und an der Zukunft der nach uns kommenden Generationen schuldig zu machen. Mir ist bewusst, dass mir dieser Bericht möglicherweise Freundschaften und Sympathien kosten kann, vermutlich insbesondere bei jenen, die sich sogar für besonders tolerant halten. Die Empfehlung, meinen Bericht bis zum Schluss zu lesen, richtet sich daher in besonderem Maße an sie.

Nachdem bereits am 1.8.2020 eine Demonstration der sogenannten Querdenker in Berlin stattgefunden hat und hierüber das ein oder andere in den Medien zu lesen bzw. zu sehen war, wuchsen mir hauptsächlich zu den übermittelten Teilnehmerzahlen erhebliche Zweifel. Zunächst war in den Hauptmedien von 17.000 Teilnehmern die Rede. Dann von 20.000. Irgendwann gab es im Laufe des Verbots der neuen Querdenkerdemo offizielle Angaben von 30.000.

Ich recherchierte, mit dem Ergebnis, keine der genannten Zahlen passte zu den Bildern, die ich und viele andere beispielsweise auf YouTube sehen konnten. Ich habe viele gefüllte Fußballstadien gesehen und bilde mir ein, dass ich einschätzen kann, wie nach dem Spiel 20.000, 40.000 oder 80.000 auf den Straßen rings ums Stadion aussehen.

So fuhr ich am 29.8.2020, dem Tag einer weiteren angemeldeten Demonstration selbst nach Berlin. Ich wollte mir ein eigenes Bild von dem machen, was da in den Hauptmedien und der Politik nicht nur im Hinblick auf die Teilnehmerzahl so schlecht gemacht wurde. Mit Rucksack und ausreichend Wasser lief ich am Vormittag durch Berlin Mitte, schaute mir zunächst die Gegendemonstration der selbsternannten Antifaschisten auf dem Bebelplatz an. Ich sah an diesem Tag viel Polizei, Hubschrauber in der Luft.

Nun wollte ich mir den Demonstrationszug der Querdenker anschauen. Ich hatte mich hierzu am Leipziger Platz postiert, hier sollte die Route des Demonstrationszuges vorbeiführen. Nach einer Weile bekam ich über das Internet mit, dass der Zug gestoppt und aufgrund nicht eingehaltener Hygieneregeln von der Polizei aufgelöst wurde. Augenzeugenberichte hierzu: “Von allen Straßen kamen viele Familien, die mit demonstrieren wollten. Der Zug war stundenlang von der Polizei eingekesselt und von allen Straßen abgeschnitten.” “Wenn die Polizei den Zug freigegeben hätte, hätte es keine auflaufenden Stauungen gegeben, was als Ausrede für die Auflösung der Demo herhalten musste.”

So machte ich mich auf den Weg zum Brandenburger Tor, wollte mir dort ein Bild machen, wo der Demonstrationszug beginnen sollte, aber dann scheinbar nicht vom Fleck kam. Ich fragte einige Teilnehmer, ob sie wüssten, was los sei. Sie erklärten, dass es keinen Demonstrationszug mehr gäbe. Die, die nicht immer noch von der Polizei eingekesselt wären, machten sich auf den Weg zur Siegessäule. Dort würde am Nachmittag eine Abschlusskundgebung stattfinden. So ging ich die Straße des 17. Juni entlang zur Siegessäule, wie viele andere Tausende auch. Nach dem, was ich bisher so in den Hauptmedien vernehmen konnte, war ich allerdings mehr als überrascht.

Ich sah Menschen aller Hautfarben. Ich sah junge Menschen, ältere Menschen, Familien mit Kindern. Kurzum, Menschen wie Du und ich. Ich sah Flaggen vieler Länder Europas, darunter eine Vielzahl polnischer, aber auch die der Türkei, des Iran, ja sogar zwei israelische Flaggen. Auch viele deutsche Flaggen, einige davon im historischen Gewand des Kaiserreiches, aus einer Zeit also, in der es meines Wissens noch keine Nazis gab, dafür aber echte Sozialdemokraten. Eine Zeit in der die Grundlagen unseres heutigen Sozialversicherungssystems geschaffen wurden. Eine Zeit der wirtschaftlichen Blüte, in der Kunst und Wissenschaft gefördert wurden. Von zahlreichen Einrichtungen, Gebäuden, Erfindungen und Nobelpreisträgern profitieren wir noch heute. Erst als das Kaiserreich weggefegt und der jungen deutschen Republik das Atmen durch den Versailler Vertrag fast unmöglich gemacht wurde, kamen die Nationalsozialisten. Sie waren im Kaiserreich nicht notwendig, sie wären in der Weimarer Republik nicht notwendig gewesen und niemand braucht sie heute.

Auf dem Weg zur Siegessäule kam dann eine Gruppe von etwa 40-50 Personen mit ebenfalls historischen deutschen Flaggen entgegen, die aber von der Siegessaule weggingen. Sie wurden links, naja, im Grunde genommen rechts liegen gelassen. Vermutlich ist es der Trupp von Spinnern gewesen, der später am Reichstag, also kilometerweit entfernt von der Kundgebung der Querdenker, für die negativen Schlagzeilen sorgte. Auf der Kundgebung an der Siegessäule bekam man davon nichts mit. Die Veranstaltung begann, nachdem der Verantwortliche der Querdenker-Bewegung die Teilnehmer immer wieder dazu aufforderte, die Auflagen der Polizei, den Mindestabstand einzuhalten. Dies wurde, soweit ich es überblicken konnte, auch getan. Die Polizei bat ebenfalls über die Lautsprecher der Veranstaltung darum und erhielt von den Teilnehmern der Kundgebung rings um die Siegessäule sogar Applaus. Ausnahmslos alle Redner betonten, dass das Anliegen friedlich sei und auch nur friedlich umgesetzt werden soll. Hierfür großer Applaus.

Die Straße des 17. Juni sowie die die anderen Straßen rings um die Siegessäule waren gefüllt. Nicht so wie zur Loveparade damals, denn der Mindestabstand wurde ja eingehalten. Viele Teilnehmer wichen aufgrund der Abstandsauflagen in den Park aus. Die Teilnehmerzahl wurde von den Hauptmedien mit knapp 40.000 attestiert. Also grob gesagt, ein gut halb gefülltes Berliner Olympiastadion. Diese Zahl muss bei allen, die der Kundgebung beiwohnen konnten, erhebliches Kopfschütteln bei der späteren   Berichterstattung in den Medien hervorgerufen haben.

Soweit eine kurze Zusammenfassung dem überhaupt gerecht wird - das Hauptanliegen der Querdenker scheint die konsequente Umsetzung des Grundgesetzes zu sein. Aufgrund der Reden, die ich gehört habe, bestehen für mich keine Zweifel, dass es sich bei den Querdenkern tatsächlich um eine demokratische Bewegung handelt, die einen offenen Diskurs und Transparenz im Umgang mit dem Grundgesetz, den pandemiebedingten Maßnahmen sowie allen anderen gesellschaftlichen Themenfeldern fordert. Es wurde sich während der Kundgebung mehrfach deutlich von links- oder rechtsextremistischen Ansichten distanziert.

Im Anschluss an meinen Berlin-Besuch recherchierte ich weiter. Der Präsident des deutschen Verfassungsschutzes erklärte in einem Interview Folgendes: “Rechts-, aber auch einige Linksextremisten haben versucht, die Corona-Proteste zu instrumentalisieren. Sie haben geglaubt, im Protest gegen die Corona-Politik würden sich die Leute hinter ihnen scharen.“ Das habe aber nicht funktioniert: „Zwar haben wir bei der Demonstration der 20.000 vor einer Woche in Berlin auch einige Rechtsextremisten gesehen. Sie haben sich natürlich inszeniert und sich vor die Kameras gestellt.“ So entstehe aber ein falsches Bild: „Sie prägen das Demonstrationsgeschehen oder die inhaltliche Debatte derzeit nicht.“

Ich kann es nicht anders sagen. Ich habe am 29.8.2020 rings um die Siegessäule eine sehr große absolut friedliche und vor allem bunte Menge an Menschen gesehen. Ich kenne das Hambacher Fest von 1832 nur aus den Geschichtsbüchern. So wie der 29.8.2020 auf der Straße des 17. Juni könnte es sich vielleicht damals angefühlt haben.

Und ich frage mich ganz losgelöst von dem, welche Ansichten durch die Querdenker vertreten werden und ob man diese teilt oder nicht, wenn sogar der Verfassungsschutz der Ansicht ist, dass es sich um eine demokratische Bewegung handelt, welches Interesse haben insbesondere die Hauptmedien, welches unsere gewählten Vertreter, also die, die immer behaupten, die Demokratie zu verteidigen, welches Ziel verfolgen sie, wenn sie in der Art und Weise wie bisher über eine friedliche Bewegung berichten und Tatsachen scheinbar bewusst verdrehen? Warum werden den Menschen nicht Ausschnitte der Reden, warum nicht Bilder der sehr großen friedlichen Menge an Menschen gezeigt? Warum wird nicht berichtet, dass die Teilnehmer eine bunte Mischung sind und nicht wie berichtet Rassisten, Corona-Leugner, Nazis oder Verschwörungstheoretiker? Warum werden Zwischenfälle, die kilometerweit entfernt stattfanden und nichts mit der Kundgebung der Querdenker zu tun hatten, dieser zugeordnet? Warum wird die Anzahl der Teilnehmer augenscheinlich falsch dargestellt? Warum schafft hier die Politik im Gleichschritt mit den Hauptmedien ein verzerrtes Bild, wenn diese die Querdenkerbewegung offenbar bewusst in ein falsches Licht rücken? Wer hat Angst vor einem offenen Diskurs, wer hat Angst vor Transparenz? Und vor allem warum? 

Wer das am 29.8.2020 in Berlin mit eigenen Augen gesehen hat, der muss einfach zur Erkenntnis gelangen, dass die Menschen in unserem Land von Politik und Medien massiv getäuscht und beschwindelt werden - und er ist verpflichtet, diese exklusive Erkenntnis auch mitzuteilen.

Mich stimmt es sehr nachdenklich, wie sollen diejenigen, die zu dieser Erkenntnis gelangt sind, noch dem vertrauen, was sie zukünftig in Presse, Funk und Fernsehen lesen, hören oder sehen? Wie können Medien und Politik hier überhaupt verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen? Indem sie so weitermachen wie bisher, mit Sicherheit nicht.

Bevor Sie in dieser Angelegenheit Ihr Urteil abgeben, bitte machen Sie sich ein eigenes Bild. Vielleicht beobachten Sie auch mal so eine Kundgebung, gerne auch mit Abstand. Sie werden feststellen, dass doch vieles anders ist, als wir es tagtäglich immer wieder vorgesetzt bekommen. Kein Geringerer als Immanuel Kant hat es bereits vor über 225 Jahren kurz und knapp zusammengefasst: "Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen."

Bitte bilden Sie sich daher Ihre eigene Meinung, äußern sie diese, egal wie unbequem das sein mag. Hinterfragen Sie alles, was sie lesen und was Ihnen erzählt wird, im Großen wie im Kleinen. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.

Wer ungeprüft das wiedergibt und dann auch noch verteidigt, was er von Politik und Medien vorgebetet bekommt, belügt sich selbst und damit andere.

Sie entscheiden selbst, ob sie die gestellte Eingangsfrage später mit einem Achselzucken beantworten möchte.


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